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Donnerstag, 23. August 2012

Ich höre ein Stockwerk unter mir das Telefon klingeln. Wenig später Schritte auf der Treppe, ich stehe auf und öffne meine Tür. Sie kommt um die Ecke, reicht mir das Telefon. Ich lächle. Ich wette, die fragen sich alle schon seit längerem, wieso ich ihnen immer zuvor komme. Seit einer Ewigkeit hat niemand meine Türklinke berührt. Ich war immer schneller. Ich höre ja, wenn jemand den langen Flur runterkommt.
Mitsamt Telefon gehe ich zurück in mein Zimmer, schließe die Tür.
»Hallo?«
»Hey!«, antwortet eine fröhliche Stimme. Ich kann sie nicht zuordnen.
»Ähm ...« Am Telefon hören sich doch fast alle gleich an. Wer kann das sein? Wer ruft mich denn mal an? Ich telefoniere eigentlich nie .. Die Stimme nennt meinen Namen.
»Ja.. ?« Man, wie geistreich ich doch bin. 
»Hast du meine SMS bekommen?« Für einen Moment halte ich die Person am anderen Ende der Leitung für meine Sina. 
»Nein. Scheiße, wo ist mein Handy?« Ich durchsuche mein Zimmer, keine Spur. »Ich find's nicht.«
Erst jetzt bemerke ich das Zittern in ihrer Stimme, mir wird klar, es ist nicht Sina. Schade. »Scheiße. Naja, muss jetzt auch so gehen. Ich muss dir unbedingt was erzählen, das gestern passiert ist.« Es ist Ka, mein Kätzchen. Oh ...
»Mh, 'kay«, murmle ich vor mich hin, suche noch immer mein Handy.
»Scheiße, ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll. Es wäre viel einfacher, wenn du die SMS gelesen hättest. Oh Gott.« Oh Gott, allerdings. Ihre Stimme zittert noch immer. Etwas an ihrem Tonfall lässt mich ahnen, was in der SMS stand. OMG ich habe gerade mit einen Typen rumgemacht!, oder so etwas.
»Ich glaube ich les es dir einfach vor!«, beschließt Ka. Sie zitiert: »Hey, Nemo bitte antworte mal, es ist grad was verrücktes passiert, ich hab grad mit so nem Kerl rumgeknutscht! Meld dich!« Wusst ichs doch.
Ein Oh entfährt mir, dann beginne ich zu lachen. 
»Ka, du bist genial«, platzt es aus mir heraus. Das war alles viel zu logisch. Und aus irgendeinen Grund freut mich das für sie. Sie braucht das. Dumme Abenteuer, Geschichten, Spaß, Aufmerksamkeit. Was auch immer.
Ich setze mich auf meinen Stuhl, gebe die Handysuche auf. Es fühlt sich komisch an, zu hören was hundert Kilometer von mir passiert ist. Und das einzige was mir passiert ist, dass ich außeinanderquelle wie Hefeteig. Meine Ferien sind so verdammt langweilig.
Ka erzählt mir noch ein bisschen was, während ich meinen Schorf abkratze. Ich höre kaum zu, mache nicht mal mhh oder aha, sondern schweige ein wenig. Das ist okay so, das kennt sie so von mir.
Erst als es um Essen geht, horche ich auf. 
»Die Essenszeiten sind hier komisch. Also für mich, und den anderen, die mithelfen gibt es um acht Uhr morgens Frühstück. Für die hundert anderen erst um zwölf Uhr, weil die so lange schlafen. Und darum gibts auch für alle zusammen erst um siebzehn Uhr Mittagessen, und Abendbrot dann gar nicht.« Aus irgendeinen Grund fange ich an zu lachen. »Heute hab ich erst ein Toast und ein bisschen Rührei gegessen.« Etwas durchzuckt mich. Neid. Verdammt.
Ich zähle auf, was ich heute gegessen habe. In Gedanken schwör ich mir, dass es dabei bleibt.
»Du ich muss auflegen. Sonst bekommt Papa noch 'nen Anfall. Ich ruf die die Woche noch mal an, versprochen!«, sagt sie.
»Okay. Tschüß, viel Spaß noch.«
»Bye, dir auch. Bis dann.«
Ich drücke auf den roten Knopf, gucke aus Gewohnheit aufs Display. 9:17 Minuten. Stille.
Ich vermisse sie so. Ich werde sie mein Leben lang vermissen. Ich werde unsere gemeinsamen Pausen vermissen, unsere Sprints zum Schließfach, weil wir mal wieder unsere Englisch- oder Deutschbücher vergessen haben. Ich werde ihre aufgedrehte, etwas egoistische, verrückte Art vermissen. All das.

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